Prolog

Gestalterisch forschend umkreise ich im Verlauf meiner Masterarbeit die Verknüpfungen analoger und digitaler Methoden. Es geht um das Gestalten ohne feste Regeln in einem strengen System; um die Wiederholbarkeit des Augenblicks und Vergänglichkeit im Stetigen; um die Substanz des Leerraums; um den Zufall im gezielten Handeln; um das Schlüssige im Absurden; um Gegensätze im Kontinuum.
Ein Wechselspiel aus digitalen und analogen Ästhetiken ist rei­zend; darüber hinaus lässt sich außerdem eine Faszination bei Anwendungen erkennen, die technisch und methodisch hybrid arbeiten. Gerade in gestalterischer Arbeit besteht Potential, wo beide Arbeitsweisen und medialen Möglichkeiten kombiniert werden.
Obwohl ich gestalterisch arbeite, gestalterisch ausgebildet bin und mich klar als Gestalterin sehe, rutschen meine Projekte oft in Richtung der Kunst ab. Implizit ihrer finalen Erscheinung mutet – bei der ersten Betrachtung – etwas Künstlerisches an.
Allein ihr konzeptioneller Unterbau, die Entwürfe dahinter und ihr Entstehungsprozess hält sie am Design fest. Keine Entscheidung (innerhalb des Designprozesses) stellt sich spontan, intuitiv oder gar impulsiv ein; ihre praktischen Äußerungen fußen stets auf – mehr oder minder – nachvollziehbaren Erfahrungen, Ideen oder Konzepten. Sie erheben den Anspruch der Reflexion der Erfahrung und ein Bewusstsein von dem, was und wie gestalterisch umgesetzt wurde. Insofern sie nicht vom klassischen Ablauf eines Gestaltungsprozesses abweichen sind sie vom ständigen Wechsel zwischen theoretischer und praktischer Arbeit geprägt. Dabei beeinflusst und bestärkt das Denken die Handlung und die Handlung das Denken. „Ohne das sich allerdings jemals die Gedanken eins zu eins oder unmittelbar in der Praxis durchsetzen oder dort finden lassen – und umgekehrt. Praktische Aktionen bilden sich nicht einfach in den Gedanken so ab, wie sie geschehen sind, sondern gebrochen durch Vorstellungen, Projektionen und andere gedankliche Konstellationen, die das hervorrufen, was wir allgemein Verständnis nennen.“ Es besteht also eine intensive Beziehung zwischen Theorie und Entwurf. Gleichzeitig muss eingeräumt werden, dass diese Beziehung sehr widersprüchlich ist. Gestaltung bewegt sich oftmals in diesem Zwischenraum – dem Spannungsfeld – von Denken und Handeln und versucht, eben daraus gestalterische Kraft und Qualität zu gewinnen.
Dennoch wandle ich in meinem Tun oftmals in einem Grenzgebiet in dem es sich – je nach Blickwinkel – von der gestalterischen in eine künstlerische Atmosphäre wechseln lässt. Vorgehen und die Umsetzung der Arbeiten ähneln im Aufbau wie der Intention einem Essay, dessen Form ebenso in einer Sphäre zwischen Kunst und Wissenschaft schwebt. Es greift in seinem Streben nach Erkenntnis und mit der Proklamation seiner Anschauung nach dem Wesen der Wissenschaft während seine Erkenntnis- und Ausdrucksweise der Kunst entlehnt ist. „In der Wissenschaft wirken auf uns die Inhalte, in der Kunst die Formen; die Wissenschaft bietet uns Tatsachen und ihre Zusammenhänge, die Kunst aber Seelen und Schicksale.“ „[I]m Gegensatz zum Wissenschaftler ist dem Essayisten der Gegenstand nicht Erkenntnisobjekt, sondern erlebte Wirklichkeit, und indem er sich an einem Gegenstand erprobt, stellt er auch sich selbst dar.“  „Dem Essay haftet etwas Fragmentarisches, Bewegliches, Momenthaftes, Gesprächhaftes, manchmal auch Spielerisches an. Er stellt, meist ohne objektivierende Distanz, in unmittelbarer, freier, intuitiver Weise Querverbindungen her; dabei verzichtet der Essayist bewusst auf ein Denken im Rahmen von festgelegten Systemen.“  „Ruhig und stolz darf der Essay sein Fragmentarisches den kleinen Vollendungen wissenschaftlicher Exaktheit und impressionistischer Frische gegenüberstellen“ „Der Essay pariert nicht die Spielregeln organisierter Wissenschaft und Theorie, es sei […] die Ordnung der Dinge die gleiche wie die der Ideen. Weil die lückenlose Ordnung der Begriffe nicht eins ist mit dem Seienden, zielt er nicht auf geschlossenen, deduktiven oder induktiven Aufbau.“ Adorno beschreibt in seiner Abhandlung „Essay als Form“ eine qualitativ andere Objektivität, die sich aus der Ganzheit des Erlebten und den Einsichten des individuellen Bewusstseins – anstelle der überprüfbaren Verifikation – misst. Diese wird schließlich allein durch „die in Hoffnung und Desillusion zusammengehaltene einzelmenschliche Erfahrung“ bestätigt. „Sie verleiht ihren Beobachtungen erinnernd durch Bestätigung oder Wiederholung Relief. Aber ihre individuell zusammengeschlossene Einheit, in der doch das Ganze erscheint, wäre nicht aufzuteilen und wieder zu ordnen unter die getrennten Personen und Apparaturen […]“ Obwohl die Meinungen eines „Erfahrenen“ sich nicht wissenschaftlich generalisieren lassen, seien sie nicht unbeträchtlich, zufällig oder irrational. Dagegen können Erkenntnisse, die auf diese Weise gewonnen wurden und später verifiziert werden schwerlich auf dem konventionellen Weg der Wissenschaft erlangt werden. „Das Maß solcher Objektivität ist nicht die Verifizierung behaupteter Thesen durch ihre wiederholte Prüfung, sondern die in Hoffnung und Desillusion zusammengehaltene einzelmenschliche Erfahrung.“
Auch wenn meine Arbeiten oft keine direkte wissenschaftliche Erkenntnis forcieren, verstehen sie sich ebensowenig als Kunst. Von kindlicher Muße getrieben entflammen sie an Fragmenten fremder Ideen oder Ansichten. Persönliche, subjektive Vorlieben, Interessen und Abneigungen fließen im Gestaltungsprozess mit ein und werden von den Ergebnissen reflektiert.
Es ist also naheliegend, dass begleitend zu meiner praktischen Arbeit eine Reihe theoretischen Beiträge in essayistischer Form entstanden sind. „[Der Essay] fängt nicht mit Adam und Eva an, sondern mit dem, worüber er reden will; er sagt, was ihm daran aufgeht, bricht ab, wo er selber am Ende sich fühlt und nicht dort, wo kein Rest mehr bleibe […] weder sind seine Begriffe von einem Ersten her konstruiert noch runden sie sich zu einem Letzten. Seine Interpretationen sind nicht philosophisch erhärtet und besonnen sondern prinzipiell […]“  Ähnlich wie Adornos Beschreibung des Essays orientieren sich meine Handlungen als Designerin selten an Methodik oder an konventionellen Gestaltungsprozessen. Stattdessen halten sie sich eher an den Satz Was in meinen Kopf hineinfällt, fällt zuweilen wieder heraus.

Das folgende Sammlung aus Textbeiträgen ist parallel zur praktischen Arbeit Formen der Verknüpfung analoger und digitaler Gestaltungsmethoden entstanden. Sei hat den Anspruch eine sensibilisierende Wirkung im Umgang mit analogen und digitalen Phänomenen aller Art zu erzeugen. An Stelle eines Wettstreitgedankens sollten Möglichkeiten der gezielten Nutzung aller Techniken, Methoden und Medien entstehen. Zugunsten einer bewussten Designarbeit möchte ich als analog und digital bezeichnete Phänomene (besonders im gestalterischen Kontext) beleuchten. Die folgende Beiträge sind nonlinear zu betrachten; die vorliegende   Reihenfolge ist lediglich ein Vorschlag, in der sich die Themen möglicherweise besonders zugänglich und abwechslungsreich gestalten. Gemeinsam mit den praktischen Teilarbeiten aus Formen der Verknüpfung analoger und digitaler Gestaltungsmethoden inszenieren sie ein eigenes Kontinuum, das deutlich gehaltvoller ist als die Summe seiner Einzelteile.

Am Anfang des üblichen Gestaltungsprozesses steht ein Auftrag, der und dessen Sache verstanden werden muss; anschließend werden Ideen und Entwürfe gesammelt und diese in Skizzen veranschaulicht; selbige werden (gegebenfalls in mehreren Schleifen) argumentativ diskutiert, kritisiert, verändert und erneut veranschaulicht bis ein praktikables Konzept oder Produkt entsteht.

BRANDES, U., Erlhoff, M., Schemmann, N. (2009): Designtheorie und Designforschung. Wilhelm Fink, Paderborn: 89

vgl. BRANDES et al. 2009: 89

Lukács, G. von (1910): „Über Wesen und Form des Essays“ In: Rohner, L. (Hrsg.) (1972): Deutsche Essays: Prosa aus zwei Jahrhunderten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München. 27–47: 29

Brockhaus (Hrsg.) (1968): Brockhaus Enzyklopädie in 20 Bänden. Wiesbaden. Nach: Hamazaki, K. (1982): „Essay als ein alternativer Diskurs(1) Zum ,Essay als Form‘ Th. W. Adornos“ In: Gakushuin-Universität (Hrsg.) (1996): 人文科学論集 5号 (Essays zu den Geisteswissenschaften Nr. 5). Tokio. 125–142: 125.

Brockhaus (Hrsg.) (1988): Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden (Band 6 DS–EW). F.A. Brockhaus, Mannheim.

Lukács 1972: 46

Adorno, T. W. (1958): „Der Essay als Form“ In: Rohner, L. (Hrsg.) (1972): Deutsche Essays: Prosa aus zwei Jahrhunderten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München. 61–83: 69

Adorno 1958: 67

vgl. Adorno 1958: 67

Adorno 1958: 67

Adorno 1958: 62

… und durch das Medium des Druckerzeugnisses unvermeidlich feste …