Über materielle und immaterielle Bilder

Eine nüchterne Unterscheidung zwischen einer analogen oder digitalen Photographie fällt leicht: Ersteres entsteht auf einem photographischen Film. „Elektromagnetische Wellen spezieller Wellenlänge, emittiert oder reflektiert von realen Objekten, passieren eine Vorrichtung, die sie geometrisch manipuliert, dann auf eine chemisch präparierte Fläche aufzutreffen, die dadurch in ihrem physikalischen Zustand verändert wird“ Es entsteht ein Dia oder Negativ, mithilfe dessen ein Bild projiziert werden oder Abzüge erstellt werden können. Während der Vorgang bis zur geometrischen Manipulation gleich bleibt, „findet bei der digitalen Fotografie eine Codierung des Bildes in ein festgelegtes Raster- oder Gitternetz statt, in dem jeder einzelne Punkt oder Pixel durch einen Zahlenwert bestimmt wird und dadurch beliebig bearbeitet und verändert werden kann.“ „Bilder werden durch die gleichförmige Aufteilung der Bildfläche in ein endliches cartesianisches Gitter aus Punkten (sogenannte Pixel) digital codiert, und die Farbintensität jedes Punktes wird durch ganze Zahlen aus einem endlichen Bereich angegeben. Die so entstehende zweidimensionale Anordnung ganzer Zahlen (das Rasternetz) kann im Computer gespeichert, elektronisch versandt und durch verschiedene Mittel auf dem Bildschirm als Bild dargestellt oder ausgedruckt werden.“
Der Begriff Bild wird gerne als Synonym für Photographien verwendet. Voreilig könnte behauptet werden: Nicht jedes Bild ist eine Photographie, aber jede Photographie ein Bild. Bei digitalen Photographien kann dies wiederum provokant in Frage gestellt werden. Da das Wort Bild durch seine vielfachen Verwendungsweisen unscharf gezeichnet ist, muss jedoch vorab der, im Folgenden verwendete Bildbegriff geklärt werden. „[Ein Bild] bezeichnet Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche und Holzschnitte; Fotografien und elektronisch generierte Dinge (TV, Video, Computer): also zweidimensionale (plane, aus der Fläche nicht oder kaum hervorstehende), von Menschen erzeugte Artefakte. Sie lasen etwas sehen, zeigen etwas und stellen etwas dar.“ „Bilder sind stets etwas Gestaltetes; Artefakte, die auf piktorale Weise etwas repräsentieren.“ Nachdem die inneren und natürlichen Bilder – und damit Wahrnehmungen und Vorstellungen – ausgeklammert wurden, beschreibt das Bild eine Darstellung zu der außerdem ein Trägermedium gehört. „Ihr herausragendes Merkmal ist zunächst einmal die visuelle Ähnlichkeit zwischen Darstellung und Dargestelltem, zwischen Zeichen und Bezeichnetem.“ Es handelt sich um visuelle Analogien „[Bilder] sind und machen ihre Gegenstände sichtbar.“
1983 schreibt Flusser, dass die Photographie gerade noch so archaisch am Papier haftet, „obwohl es gerade daran ist, von der elektromagnetischen Technologie vereinnahmt zu werden.“ Das analoge – auf Film aufgenommene Photo – ist also an eine dingliche Fläche gebunden.
„Das digitale Bild ist ein weites Feld. Es existiert in einer ganzen Palette von Varianten, denen nur wenige Parameter gemein sind: Es besteht aus diskreten Feldern, den Pixeln, deren Eigenschaften durch einen binär kodierten mathematischen Wert definiert sind, und diese Pixel sind gitterförmig – horizontal und vertikal – angeordnet.“ Weitere technische Eigenschaften wären beispielsweise Auflösung, Farbraum oder Kompressionscodes.
In der digitalen Photographie werden mit Hilfe des Bildsensors die Lichtwellen in digitale Signale übersetzt und in Form von (ebenfalls digitalen) Daten – heute in der Regel elektronisch – auf einer Speicherkarte festgehalten. Es entsteht kein physisches Artefakt. Der Datenhaufen der (beispielsweise) im RAW-Format gespeicherten Photographie entspricht nicht den Ansprüchen eines Bildes – er kann bestenfalls als dessen Prototypen (ähnlich dem Negativ einer analogen Filmaufnahme, wobei diese im Gegensatz zum RAW auch selbst ein Bild ist) beschrieben werden. Erst nach dem Prozess der Bildverarbeitung – egal ob diese automatisch kameraintern oder manuell mithilfe entsprechender Software vorgenommen wird – und durch die Anzeige der Bildpunkte auf einem Display oder durch den Druck einer Photographie erhält sie ein Trägermedium, wird sichtbar und zur visuellen Analogie der aufgenommenen Szene. Erst an diesem Punkt wird sie zum Bild.
„Aber [die] Objektivität der [analogen] Fotos ist täuschend. […] Fotos […] können durch Reproduktion distribuiert werden. Die Kamera erzeugt Prototypen (Negative), von denen sich [ähnlich der digitalen Photographie] beliebig viele Stereotypen (Abzüge) herstellen und verbreiten lassen […]“ „Obwohl [dem analogen Photo dieser] letzte Reste der Dinglichkeit anhaften, liegt sein Wert nicht im Ding, sondern in der Information auf seiner Oberfläche. […] Die Information, nicht das Ding ist wertvoll.“
Gegeben, die digitale oder digitalisierte Photographie wird nicht gedruckt, sondern nur auf einem Bildschirm dargestellt, verliert sie ihren Bildstatus ebenso schnell wieder, wie sie ihn erlangt hat. Die Problematik – sofern man eine heraufbeschwören möchte – besteht dann darin, dass – je nach Gerät – nie das selbe Bild entsteht. Mit jeder neuen digitalen Anzeige entsteht ein neuer Stereotyp, der mit einem neuen Abzug einer analogen Photographie verglichen werden kann. Obwohl die Semantik des Bildes dies eigentlich nicht duldet nimmt damit jeder Bildschirm – und auch jeder Druck, wobei dies einfacher nachvollziehbar und kontrollierbarer bleibt – erheblichen Einfluss auf die Darstellung des Bildes. Helligkeits- und Farbeinstellungen verändern Parameter und können ein Bild dabei so stark verfälschen, das es essentiell anders wahrgenommen wird. Egal ob es sich um den analogen Abzug eines Negativs handelt oder der Verarbeitung einer digitalen Photographie – oder der Digitalisierung eines Negativs – muss besonderes Feingefühl auf den Moment der Bilderzeugung – der Übergang vom Prototypen zum Stereotypen – verwendet werden um die Information so gut wie möglich zu erhalten. Denn „Form und Medium sind keine neutralen Kanäle, durch die wir Informationen beziehen. Sie gestalten die Information und das, was wir daraus machen.“

Boom H. von den Boom (1996): „Die Spur der Realität im digitalen Fotoatelier“. In: Bolz, N. / Rüffer, U. (Hrsg.), Das große stille Bild. Fink, München. S. 102-111. Nach: Stiegler 2010: 339: 103

Stiegler, B. (Hrsg.) (2010): Texte zur Theorie der Fotografie. Reclam, Stuttgart.: 339

Mitchell, W. J. (1992): The Reconfigured Eye. Visual Truth and the Postphotographic Era. The Mit Press, Cambridge/Massachusetts. Nach: Stiegler 2010: 349: 5

Schweppenhäuser, G. (2007): Ästhetik – Philosophische Grundlagen und Schlüsselbegriffe. Campus Verlag, Frankfurt/Main: 246

Ein Bild kann ebenso eine dreidimensionale Plastik im Raum beschreiben, was im Folgenden jedoch nicht relevant wird.

Scholz, O. R. (2000): „Bild“ In: Barck K. u.a. (Hrsg.) (2000): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden (Band 1). Metzler, Stuttgart. 618–669. Nach: Schweppenhäuser 2007: 246: 623

vgl. Schweppenhäuser 2007: 249

Schweppenhäuser 2007: 249

vgl. Schweppenhäuser 2007: 249

Schweppenhäuser 2007: 252

Flusser 2011: 11

vgl. Flusser 2011: 46

Flückiger, B. (2004): „Zur Konjunktur der analogen Störung om digitalen Bild“ In: Schröter, J., Böhnke, A. (Hrsg.): Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?. transcript Verlag, Bielefeld. 407–428: 408

vgl. Flückiger 2004: 408

Flusser 2011: 46 f

Flusser 2011: 47

Schweppenhäuser 2007: 250