Zwischen Knopf und Sprachsteuerung

Ich prüfe den Wasserstand der Espressomaschine. „Was möchtest du?”, die Frage ist zu einem Automatismus geworden. „Wir haben keine Milch“, beantworte ich sie mir selbst. „Wir trinken also Americano.“ F sitzt am Küchentisch und lässt die Photogeschichte-Vorlesung auf ihrem Tablet laufen; Studierende referieren über eine Reihe zeitgenössischer Photographen und Photographinnen. Eine Studentin schließt gerade ihr Referat mit der Serie Köhles Schuppen des Photographen Claus Goedicke ab. „Indem er die Werkzeuge dieser Werkstatt abbildet betont er erneut die Verbindung von Auge und Hand. Eine Verbindung, die mit der fortschreitenden Digitalisierung, scheinbar an Bedeutung verliert.“
Damit hat sie meine Aufmerksamkeit. Auf dem kleinen Display sind vier Schwarzweißphotographien zu sehen, die zeitlich erst einmal schwer einzuordnen sind. Eine kurze Recherche ergibt: Die Serie ist aus dem Jahr 2012; ebenso die Aussage über die Auge-Hand-Beziehung (die Goedicke sehr ähnlich selbst so formuliert hat): „Es ist aber so, dass in dieser Arbeit nicht nur der einzelne, unverwechselbare Mensch im Vordergrund steht, sondern das universelle Tun, das sich in den Dingen manifestiert. Es ist eine Werkstatt, es ist Werkzeug. Mit diesem Werkzeug baut und repariert Köhle, bauen und reparieren wir unsere Welt. Wir nehmen etwas in die Hand, wir machen mit diesem Werkzeug etwas und hinterlassen Spuren. […] So ist es aber nicht nur mit dem Werkzeug, sondern mit allen Dingen, die Menschen erfinden und herstellen. […] Das Werkzeug aber ist vor diesen anderen Dingen in der Welt, so wie der Faustkeil vor allen anderen Werkzeugen und Instrumenten existiert hat. Deshalb ist mir die Köhlehöhle so wichtig. Aber auch weil hier, wie in meinen inszenierten Arbeiten, die Verbindung von Hand und Auge so deutlich, so greifbar wird und die Resultate dieser Verbindung so gut vorstellbar sind. Einer Verbindung, die uns immer mehr verloren zu gehen scheint, je mehr wir in digitale Universen hineindiffundieren.“
Ich möchte protestieren – ihm zustimmen – dann doch widersprechen. Am Ende ist es nur seine Wortwahl, die mir widerstrebt. Das Wort diffundieren verdreht die Dinge, wie ich sie empfinde. Ich möchte behaupten: Mit der fortschreitenden Digitalisierung schien die Verbindung von Auge und Hand zuerst abzunehmen – je tiefer wir jedoch in das digitale Universum hineindiffundieren, desto intensiver wird diese sinnlich, haptische Verbindung auch im digitalen Raum.
Die Schnittstelle des physischen / weltlichen / analogen zum digitalen Raum hatte anfänglich einen stark digital geprägten Charakter. Eine Lochkarte oder ein Knopf weisen nur eine schwache sinnliche- oder haptische Erfahrung auf. Die Optionen sind binär: Die Karte hat ein Loch oder sie hat keines; der Knopf ist gedrückt oder er ist es nicht. Dagegen arbeiten aktuellere Technologien mit einem zunehmend analogen Interface; die Gesten- und Sprachsteuerung sind alltäglich gewordene Beispiele hierfür. Mit der Hilfe von Virtual-Reality-Brillen sind wir sogar in der Lage, den physischen Eintritt in einen virtuellen Raum zu simulieren. Durch spezielle Eingabegeräte, wie einen Datenhandschuh, kann dort eine (in Echtzeit dargestellte) Interaktion stattfinden. Durch motorisches Handeln wird dann aktiv in die digitale Welt eingegriffen. „Werkzeuge im üblichen Sinn sind Verlängerungen menschlicher Organe: verlängerte Zähne, Finger, Hände, Arme, Beine. Da sie verlängern, reichen sie weiter in die Natur hinein und reißen die Gegenstände kräftiger und schneller aus ihr heraus als der bloße Körper. Sie simulieren das von ihnen verlängerte Organ: der Pfeil den Finger, der Hammer die Faust, die Hacke die Zehe. […] Werkzeuge […] leisten Arbeit, indem sie Gegenstände aus der Natur reißen und sie informieren, das heißt die Welt verändern.“ Der Werkzeugbegriff muss an dieser Stelle jedoch auf den digitalen Raum erweitert werden: Ein digitales Werkzeug reicht als verlängertes Organ in den digitalen Raum um im selbigen zu kreieren. Mit einer zunehmenden Diffusion in das digitale Universum wird die Erfahrung der Handhabung eines digitalen Werkzeugs der eines analogen Werkzeugs (wie Goedicke sie zeigt) letztendlich immer ähnlicher; das Tun verlangt (erneut) eine starke Verknüpfung von Auge und Hand. Die Spuren, die wir mit digitalen Werkzeugen hinterlassen bleiben dennoch vorerst digital. Es bedarf eines weiteren Produktions- beziehungsweise Entwurfsschrittes um diese – sofern das gewünscht ist – in die physische Welt zu übertragen.
Das ausführende Gerät (z. B. Drucker, 3D-Drucker oder eben CNC-Fräse) steht als weitere Instanz zwischen der ausführenden Hand und dem Artefakt. Somit könnte man Goedicke Recht geben: Der Eingriff und die Gestaltung der Welt über digitale Werkzeuge bleibt weniger direkt – dies darf jedoch keinesfalls mit weniger gestaltet oder einem geringeren Einfluss der Gestaltenden verwechselt werden.
Ebenso wie die handwerklichen Werkzeuge, die Goedicke ab­bildet, sind auch digitale Werkzeuge gestaltet und gestalten. Hammer und Meißel sind Werkzeuge mit denen man mehr erreichen kann, als mit der bloßen Hand. Sie sind komplexer als ein Faustkeil und es lässt sich präzisere Arbeit mit ihnen verrichten. Ein Computer ist wiederum komplexer als diese Werkzeuge – er steht für einen ganzen Werkzeugkasten. Kombiniert mit einer CNC-Fräse lassen sich millimetergenaue Arbeiten verrichten, die sich bei mehrfacher Ausführung exakt gleichen – etwas, das auch die größte Handwerkskunst so nicht vollbringen kann – und nicht vollbringen möchte. Die digitale Perfektion und Präzision sollte ebensowenig als ultimatives Ziel der Handwerkskunst gelten, wie eine grobe Umsetzung als Indiz derselben.

Unbekannt; aus dem Gedächtnis zitiert

Goedicke, C. (2022): „Köhles Schuppen“. URL: https://www.galerie-m.com/artist_info2.php?aid=180&aifid=330 (Abrufdatum: 20.01.2022).

Flusser, V. (2011): für eine philosophie der fotografie. Edition Flusser, Berlin: 22 f

Computerized Numerical Control