Analog und digital als elastische Termini

Analog und digital werden in der Umgangssprache häufig salopp gebraucht und beschreiben einen Sachverhalt nur vage. Oft ist erst aus dem Kontext klar(er) ersichtlich, was beispielsweise mit einer analogen Erfahrung oder der digitalen Umsetzung beschrieben werden soll. Eine klare Definition der beiden Schlagwörter wäre vermutlich das Ende ihres populären (und inflationären?) Gebrau­chs. Wenn analog nur noch für das steht, was sich in bestimmten Verhältnissen ähnelt – eine Analogie – und digital für alles binär kodierte, wäre wohl kaum eine der gebräuchlichen Bezeichnungen des einen oder anderen zutreffend. Erst die elastische Auffassung beider Begriffe macht sie überhaupt gebrauchsfähig. „Einmal aus seiner technischen Verortung gelöst, ist der Begriff des Digitalen [und der des Analogen] vor allem im Populärdiskurs durch Analogienbildungen und Anthropomorphisierungen auf praktisch alle Gebiete applizierbar.“ Alltäglich ist die Bezeichnung von analogen oder digitalen Medien. Analog oder digital können weiter die Art einer Information bezeichnen. Eine Digitaluhr gibt durch einen exakten Zahlenwert, der jedoch erst im Kontext eingeordnet werden muss, eine sehr präzise Zeitauskunft. Mithilfe einer analogen Uhr wird dagegen schneller eine zeitliche Orientierung vermittelt. Die zueinander in Beziehung stehenden Zeiger auf dem Ziffernblatt geben ein Verhältnis an. Ihre visuelle Lokalisierung verhilft zur Einschätzung der aktuellen Zeit. Auch Erkenntnisse wie zu früh oder zu spät können anschaulich an ihr abgelesen werden. Es wird also davon ausgegangen, dass die sinnliche Wahrnehmung eine qualitative Aufnahme der Realität erzeugt – Qualität im Sinne von Verhältnis beziehungsweise Analogie. Mit einem Verhältnis lassen sich Vergleiche erstellen, Wertungen und Qualitäten bestimmen. Eine digitale Erkenntnis ist zwar sehr viel genauer, bleibt aber vorerst ohne Wertung – eben nur ein Wert. Erst in einem zweiten Schritt, in dem (meist automatisch) eine Analogie zwischen mehreren quantitativen Werten hergestellt wird, kann ein Vergleich begriffen werden. Es bedarf einer Übersetzung. Die menschliche Kommunikation kann ebenso in zwei Arten unterschieden werden. Objekte können beispielsweise in Form einer Zeichnung oder Ausdrucksgebärde zum Gegenstand einer Kommunikation werden. Diese Ausdrucksweisen sind gegenständlich – es besteht eine Analogie zum tatsächlichen Objekt. Wird dagegen ein Name gebraucht, um etwas zu beschreiben, besteht außer diesem semantischen Übereinkommen, keine weitere Beziehung zwischen Bezeichnung und dem Bezeichneten – es handelt sich lediglich um eine festgelegte Kodifizierung. Analoge Kommunikationsformen finden sich häufig in der Beziehungsebene einer Mitteilung, digitale Formen sind eher der Informationsebene zuzuweisen. Über Medien, Informationen und Kommunikation hinaus können aber auch Strukturen, Konzepte, Inhalte und Betrachtungsweisen digitalen beziehungsweise analogen Methoden zugeordnet werden. Als digitale und analoge Gestaltungsmethoden werden im Weiteren beispielsweise Werkzeuge, zur Umsetzung einer Gestaltung, bezeichnet. Damit können analoge Photofilme, im Vergleich zu einem digitalen Photosensor, gemeint sein. Aber auch Bleisatz, beziehungsweise das Layouten am Rechner, sind anschauliche Beispiele.

Loleit, S. (2004): „,The Mere Digital Process of Turning over Leaves‘. Zur Wort- und Begriffsgeschichte von ,Digital‘“ In: Schröter, J., Böhnke, A. (Hrsg.) (2004): Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum?. transcript Verlag, Bielefeld. 193–214: 208

˙ „Paradoxerweise ist gerade der – an der Digitaluhr fehlende – Zeiger etymologisch gesehen durchaus aufschlussreich für die Bedeutung von digital. Das Wort Zeiger ist nämlich ebenso wie digital auf die (rekonstruierte) indoeurop. Wurzel *deik zurückzuführen. Mit Zeiger bezeichnet man das, womit etwas gezeigt oder angezeigt wird: die Uhrzeit durch einen Uhrzei­ger, die Himmelsrichtung durch eine Magnetnadel, der Bier- oder Weinausschank durch ein Schild, die Umdrehungszahl der Haspel (Garnwinde am Webstuhl) durch eine Feder usw. Am häuf­igsten aber wird der Finger zum Zeigen benutzt und folglich ist eine heute nicht mehr bekannte Bedeutung von Zeiger ,Zeigefinger‘ (lat. ,index‘). Dies führt uns in den ursprüng­lichen Bedeutungsbereich von digital, denn das lat. Wort digitus, von dem das Adjektiv digital abstammt, bedeutet ,Finger, Zehe‘.“
Loleit 2004: 193 f

vgl. Aicher, O. (1991): analog und digital.Ernst & Sohn, Berlin: 45

gl. Watzlawick, P., Bavelas, J. B., Jackson, D. D. (1972): Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien. Verlag Hans Huber Bern, Stuttgart Wien: 62 ff

Der bestehende allge​meine Drang, jedes Phänomen einer analogen oder digitalen Schublade zuordnen zu wollen, soll an dieser Stelle dennoch als fragwürdig deklariert werden.