Das Analog-Digital-Kontinuum

Am Ende eines langen Tages ist kein Ende dieser langen Diskussion in Sicht. Mir ist schwindelig, so oft haben wir uns in den vergangenen Minuten im Kreis gedreht. Ich suche nach einem Weg, den Raum unauffällig zu verlassen; mein Spiegelbild im Fenster schaut mir kraftlos dabei zu. Abrupt verstummt es um mich herum: Meine Mitstudierenden sind in ihren müden Bewegungen eingefroren und starren ins Leere. Etwas ungläubig hebe ich eine Hand – während alle Anderen regungslos verharren winkt mir mein Abbild lächelnd zurück. Ich stehe auf und gehe.
Was im ersten Moment wie ein surrealer Tagtraum klingt ist in den letzten Monaten zunehmend zum Alltag vieler Menschen geworden. Die Grenzen zwischen analogen und digitalen Räumen verschwimmen; Gewohnheiten, Regeln und Begriffe werden von der einen in die andere Sphäre übertragen – und zurück. Was seit Jahrzehnten grob als Digitalisierung bezeichnet wird ist eine fortschreitende Veränderung, die sich in der Arbeitswelt genauso wie in unserer Kultur, unserem Verhalten und unserem Verständnis der Welt widerspiegelt. Um diesen Prozess zu beschreiben, suche ich nach dem Komparativ einer bestimm­ten Substantivierung, ein Wort, das nicht die Transformation vom Analogen ins Digitale beschreibt, sondern die Transformation einer digitalisierten Lebenswelt in eine intensivere Form ihrer selbst: Der fortschreitende Prozess des Digitalerwerdens oder das Digitalern – die Digitalerisierung. Das Analoge beschreibt dabei oftmals etwas Veraltetes oder nostalgisch Geladenes. Das Ende aller analoger Methoden, die Digitotalisierung, ist jedoch genauso unwahrscheinlich wie die rückläufige Entwicklung zu alten Formen. Mit analog und digital werden oftmals vermeintliche Gegensätze beschrieben, die in Wahrheit keine sind. Etwas als digital zu bezeichnen wäre ohne die Existenz des Analogen obsolet. Es sind Begriffe eines Kontinuums, die verstärkt als solche begriffen werden müssen.